Grotesker Steuerstreit

05.04.2012

In Deutschland und der Schweiz reden die Menschen mehr oder weniger die selbe Sprache, kucken den selben Mist im Fernsehen und sind auch sonst nahe. Natürlich nörgelt man gerne aneinander rum, aber trotzdem kommt man gut miteinander aus, wandert aus und ein, heiratet gar. Gibt es aber, wie beim Steuerabkommen, eine politische Auseinandersetzung, scheinen die beiden Länder mindestens auf zwei verschiedenen Planeten zu liegen. Es offenbart sich eine seltsame und erschreckende Distanz.

Erst mal zum Abkommen an sich. In einer ersten Runde wurden folgende Eckwerte festgelegt:

  • Das Abkommen betrifft in Deutschland steuerpflichtige Menschen mit Vermögenswerten in der Schweiz (also auch mich) – de facto geht es natürlich vor allem um Deutsche mit sehr viel Geld in der Schweiz.
  • Von Kapitalerträgen wird eine Abgeltungssteuer von 25% plus Solidaritätszuschlag abgezogen (entspricht vom Mechanismus her ungefähr der Schweizer Verrechnungssteuer, die 35% beträgt), weiterhin allerdings ohne die Identität der Steuerpflichtigen anzugeben. Die Abgeltungssteuer ist damit so hoch wie die deutsche Kapitalertragssteuer (in Deutschland werden Kapitalerträge mit gut 26% besteuert, und damit deutlich tiefer als Arbeitseinkommen).
  • Von bisher nicht angegebenen Geldern wird eine einmalige Steuer von 19 bis 34% eingezogen, abhängig von der Vermögensentwicklung und wie lange das Geld bei der Bank war. Damit erlöschen sämtliche Ansprüche der deutschen Steuerbehörden. Auch weitere Strafverfolgungen, wie z.B. gegen deutsche Steuerfahnder, wären nicht mehr möglich.
  • Das deutsche Finanzamt kann für die nächsten zwei Jahre bis zu 999 Auskunftsgesuche stellen, d.h. nachfragen ob eine bestimmte Person Konten in der Schweiz hat.

Gegen diese erste Version legten die rot-grün regierten Bundesländer im Bundesrat (deutsche Länderkammer, entspricht dem Ständerat) Einspruch ein. Da Rot-Grün im Bundesrat die Mehrheit hat, wurden in einer zweiten Runde die Werte etwas nach oben angepasst, insbesondere die Nachsteuer sollte nun im Bereich 19 bis 41% liegen, die Abgeltungssteuer bei 29%. Das war der Stand am Freitag, 30. März.

Und dann fing das groteske Theater an. Der Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung (leider zu oft ein neoliberales Kampfblatt) geiferte vor Wut, der Stammtisch 2.0 zog nach. Solcherlei Reaktionen finde ich einfach nur eklig, und ich bin immer wieder bass erstaunt vor soviel wechselseitigem Unverständnis. Da wird gedankenlos mit Begriffen («Totalitäre Gleichmacherei», «sozialistisches Nein») um sich geworfen wird, da wird Deutschland als ach so obrigkeitsgläubiger väterlich-strenger Umverteilungsstaat dargestellt wird – dabei hat in Deutschland die neoliberale Politik (auch von der SPD-Schröder-Regierung, das darf nicht vergessen gehen) genauso durchgeschlagen wie in der Schweiz, siehe die lächerlich tiefe Kapitalertragssteuer oder Hartz IV.

Dass es «für Deutschland» nicht akzeptabel ist, wenn andere Länder dazu beitragen, dass reiche Deutsche hier Steuern sparen, wird einfach ausgeblendet. Ein Geschäftsmodell, das auf Beihilfe zum Betrug basiert, macht «fett und impotent», wie der Banker Hans J. Bär einmal sagte, und muss einfach weg. Natürlich gibt es in Deutschland und in der Schweiz unterschiedliche Auffassungen über Besteuerungen, Bankgeheimnisse und CD-Käufe (die übrigens auch in Deutschland nicht alle für legal halten, man höre den Juristen Koblenzer ab Minute 22), aber genau dafür sind Verhandlungen wie über das Steuerabkommen da: um trotzdem eine Übereinkunft zu finden, wie mit grenzüberschreitenden Problemen umzugehen ist.

Hier hätte die Geschichte zu Ende sein müssen. Die SPD-Regierungen schalteten aber, wahlkampfbedingt, vielleicht auch mangels besserer Ideen, auf stur. Und lehnten auch die zweite Runde ab. Danach gab es kein Halten mehr: Ein Schweizer Staatsanwalt erliess einen Haftbefehl gegen drei Steuerfahnder ausgerechnet – aus NRW. Schön rechtsstaatlich und unpolitisch natürlich, jaja, aber man denke an den windigen Polanski-Fall zurück oder lese diese scharfsinnige Analyse – Auch die Justiz kann sich der Politik nicht entziehen. Die Genugtuung in der Schweiz folgte prompt, inklusive – einmal mehr – ekliger Bilder und Worte.

Genauso schlimm ist aber das Aufgeplustere gewisser SPD-Granden. Jetzt von «Gerechtigkeitslücke» zu sprechen und und daher auch die revidierte Version abzulehnen, ist dumm und vor allem unglaubwürdig. Auch die SPD müsste angesichts der neoliberalen Exzesse der Schröder-Regierung (die den Spitzensteuersatz senkte und die wirklich schlimme Kapitalertragssteuer einführte) etwas demütiger vor der eigenen Tür wischen. Das jetzige Verhalten offenbart – wie bei vielen Schweizern – ein unterirdisches Verständnis davon, wie die Politik im jeweils andern Land funktioniert. Und hilft meines Erachtens auch nicht im Wahlkampf.

Die Sprache, die Bilder, das Verhalten: Ich finde das einfach nur grotesk und erschreckend dumm. Da sehe ich kein intelligentes, politisches Denken und Handeln mehr. Ich sehe nur noch Elefanten, die im Porzellanladen internationaler Politik munter Scherben produzieren. Zum Schaden aller. Natürlich ist das Steuerabkommen nicht das Gelbe vom Ei, sozialdemokratisches Ziel ist und bleibt der automatische Informationsaustausch. Auf dem Weg dahin (und angesichts des schon fast schwindelerregend schnellen Zerfalls des Bankgeheimnis seit 2008 wird das vielleicht gar nicht mehr lange dauern) wäre ein Durchwinken des Abkommens nach der zweiten Runde im Sinne der freundnachbarschaftlichen Beziehungen die richtige Entscheidung gewesen.

von Emanuel Wyler, seit 1998 aktives JUSO- und SP-Mitglied, 2011 nach Berlin ausgewandert und nun in der SPD. Dieser Blog erschien (leicht abgeändert) auch auf der freitag.de-community, für weitere Beiträge und Diskussion auf dieser Plattform siehe auch hier und hier.