Care Arbeit und ihre Sichtbarkeit in Krisenzeiten

21.04.2020

«Heldentum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage»
~ Theodor Fontane

Viele sagen: «Frauen tragen die Hälfte des Himmels». Nun, das mag sein, doch in Zeiten wie diesen, in Zeiten der Krise, tragen Frauen* beinahe unsere ganze Gesellschaft. Denn vor allem unterdrückte Gruppen werden vom kapitalistischen System ausgebeutet. Im Fall der Frauen* äussert sich das häufig in der Sorgearbeit, welche wiederum oft auf migrantische Frauen* ausgelagert wird.
Gerne wird dieses Phänomen damit gerechtfertigt, dass Frauen* grundsätzlich ihre Erfüllung darin finden, sich um andere zu kümmern. Es liegt in ihrer Natur. Nein. Es liegt in der Natur aller Menschen, sich umeinander zu kümmern. Aber unsere Systeme, der Kapitalismus, das Patriarchat, sie alle haben nichts mehr mit Natürlichkeit zu tun, vielmehr sind die Frauen*ihnen gleichgültig, oder gerade gut genug, um sie bis zum letzten Tropfen auszuquetschen. Noch besser; sie müssen als Entschuldigung, als Rechtfertigung des Systems herhalten mit Dogmen wie «Frauen sind von Natur aus emotionaler».
Oft wird gesagt, dass Frauen* vom Kapitalismus ausgeschlossen seien – das mag, im Bezug auf den Posten eines CEO’s stimmen, den nur in 3.6% der Fälle Frauen* innehaben – doch der Kapitalismus ist so stark auf Frauen* angewiesen, dass er in seinem momentanen Zustand ohne sie nicht existieren könnte. Denn Frauen* produzieren das wichtigste kapitalistische Gut: Die Arbeitskraft. Das ist auch der Grund, weshalb Frauen* um jeden Preis zuhause gehalten werden und warum Homosexualität, Abtreibung und hohe Bildungsstandards verpönt sind. Denn an ihnen wächst und fällt der Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen.
Care Arbeit ist nicht abgekoppelt, sondern verbunden mit der Produktion von Wert. Als reproduktive Arbeit ermöglicht sie die Akkumulation von Kapital. Die gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen* ist strukturell verbunden mit der kapitalistischen Produktion. Kapitalismus kann ohne solche Dynamiken nicht auskommen, ja, er produziert sie aktiv. Und auch hier kommt das Konzept der Sorgearbeit ins Spiel. Frauen leisten nicht 79% der Kinderbetreuung, weil es sie erfüllt, den ganzen Tag Windeln zu wechseln, sondern weil sie es sich als einzige «leisten» können, zuhause zu bleiben.
Das ist jedoch nur ein Beispiel von unbezahlter Sorgearbeit, die so oder so verrichtet wird, unabhängig davon, ob die Betroffene erwerbstätig ist oder nicht. Auch in der bezahlten Sorgearbeit sind erheblich mehr Frauen* tätig, wie zum Beispiel in Kindertagesstätten oder Pflegeheimen. Man stelle sich eine Welt ohne Pflegeeinrichtungen vor – ja stimmt, das geht nicht. Und doch werden diese Berufe von den geringen Löhnen fast erstickt. Spitäler werden geschlossen, Altersheime kosten dann eben ein paar tausend Franken mehr und dein Grossmami kann ja sehen, wo sie bleibt. Schliesslich ist sie jetzt nutzlos. Sie kann sich dem Kapitalismus nicht länger aufopfern.
Und das alles nur weil man damit nicht exponentiell profitieren kann. Man kann sich nun mal nicht schneller um ein Kleinkind kümmern, oder Verunglückte mit einer Tastenwahl genesen lassen. Heute werden allein profitbringende Berufe hoch entlohnt. Zwar sind viele von ihnen sozial gesehen nutzlos, aber für unsere neoliberale Schweiz lohnt es sich eben, asozial zu sein.
Dieses Blatt scheint sich in den letzten Monaten gewendet zu haben. Auf einmal kann man gar nicht genug Spitäler haben, Pflegepersonal wird als heroisch abgestempelt und verdient trotzdem nicht mehr. Es reicht nicht, Sorgearbeitende in dieser Zeit in den Himmel zu loben. Es hilft weder ihnen, noch allen anderen, wenn man ein Bild mit Hashtag «Hero» teilt. Diese Menschen leisten jeden Tag so viel, weil sie es sich nicht leisten können, auf der Strasse zu wohnen. Weil sie ihre Kinder ernähren müssen und nicht, weil sie sich dann sechzig Stunden die Woche wie Iron Man fühlen können. Wären sie nämlich wie Iron Man, dann würden sie nicht mehr arbeiten, sondern sich mit ihren Milliarden Robo-Sklaven basteln.
Natürlich ist Anerkennung heute trotzdem unglaublich wichtig, so wie sie es immer war. Doch auch die aktive Solidarität unter und füreinander ist jetzt gefragt. Das zeigt sich in Sorgearbeiten wie der Nachbarschaftshilfe. Auf einmal erscheint uns das gesellschaftlich wichtig.
Aber wird es nun besser? Schliesslich haben wir die Wichtigkeit dieser Berufe doch jetzt erkannt, oder?
Ich persönliche denke nicht, dass diese Situation die Schweizer Bevölkerung feministisch radikalisiert hat, aber es besteht dennoch die Möglichkeit, dass das System kritischer hinterfragt wird. Dass es eine Pandemie braucht, um diese Lücken aufzuzeigen, ist zwar nach wie vor unheimlich und doch findet sich hier der Zeitpunkt, um eine systemische Debatte ins Rollen zu bringen. Das weitaus Schlimmste, was aus dieser Lage hervorgehen könnte, wäre, dass die Angst uns lähmte, dass wir pragmatisch würden. Damit das nicht passiert, müssen wir, trotz Social Distancing, aufs Ganze gehen. Jede Form der Sorgearbeit muss angemessen ausgezahlt werden, mit einem Lohn, der ihrem Wert gerecht wird.
Die Herrschenden haben sich zu lange an der Frau* bereichert und wir waren zu lange still. Wir müssen diese Stille nutzen, um uns zu organisieren, sodass, wenn die Türen wieder geöffnet werden, wir die ersten sind, die diese Stille brechen.
Nina Federer
Vorstandsmitglied JUSO Stadt Zürich
Quelle
https://kontrast.at/7-gruende-warum-feminismus-auch-heute-noch-notwendig-ist/