Are Humans the Virus? Ökofaschismus in Zeiten der Pandemie

15.04.2020 - Nadia Kuhn

Die Corona-Krise hat die Welt fest im Griff. Momentan zählen wir global gesehen über 1'700'000 am Virus erkrankte Menschen sowie über 100'000 Todesfälle. Inmitten all der schlechten Nachrichten gibt es jedoch auch immer wieder Berichte darüber, wie sich die Natur durch den erzwungenen Stillstand erhole. Satellitenbilder über China[1] und Norditalien[2] zeigen einen massiven Rückgang der Luftverschmutzung. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sollen Delfine in Venedig gesichtet worden sein.[3] Durch ausbleibende Flugreisen und die in vielen Ländern heruntergefahrene Produktion sinken auch die globalen CO2-Emissionen temporär – so sind im Februar die Emissionen In China laut einer Analyse des Centre for Research on Energy and Clean Air im Vergleich zum Vorjahr um 25% zurückgegangen[4].
In diesem Kontext wurden in letzter Zeit immer wieder Stimmen laut, die diese marginalen Verbesserungen als Beweis dafür nahmen, dass unsere Erde sich nur durch die Abwesenheit von Menschen erholen könne. «Humans are the Virus, Corona is the Cure», so lautet ein prägnanter Slogan, der auf Graffitis, in Tweets[5] und selbst auf Stickern einer englischen Sektion von Extinction Rebellion auftauchte[6].
Dieser Gedanke ist nicht nur falsch, sondern auch brandgefährlich.
Einerseits sind diese positiven Auswirkungen auf die Natur alle nur temporär. Bereits jetzt wird darüber diskutiert, wie die Wirtschaft schnellstmöglich wieder hochgefahren werden kann. Sobald das geschieht, werden innert kürzester Zeit sowohl die Luftverschmutzung als auch die Treibhausgasemissionen wieder gleich hoch sein wie vor der Krise.[7]Um die Klimakrise aufhalten zu können, müssen wir sämtliche Aspekte unserer Gesellschaft grundlegend hinterfragen: Wie wir uns ernähren, uns fortbewegen und wohnen, wie wir produzieren und konsumieren, wie wir leben – einfach alles. Wenn wir das nicht hinbekommen, dann wird der temporäre Rückgang der CO2-Emissionen nicht mehr gewesen sein als eine Fussnote in der Geschichte unseres Planeten.
Andererseits liegt die Aussage, dass die Menschheit ein Virus sei, gefährlich nahe am Gedanken, zum Wohle der Natur müsse es weniger Menschen geben. Dieser Gedanke ist der Kern des Ökofaschismus, einer Ideologie, in der sich Umweltschutz mit Menschenfeindlichkeit und der propagierten weissen Überlegenheit vermischt.
Überflüssig sind immer die anderen
Schon seit Jahrzehnten wird innerhalb der Umweltschutzbewegung immer wieder die Forderung laut, das Bevölkerungswachstum zu begrenzen. Der Gedanke scheint auf den ersten Blick logisch zu sein: Weniger Menschen verbrauchen weniger Ressourcen und verschmutzen die Umwelt weniger. Doch genau hier liegt ein entscheidender Denkfehler versteckt: Es gibt keine fixe Zahl, wie viele Menschen auf der Erde leben können, ohne dass unsere Lebensgrundlage zerstört wird. Entscheidend ist vielmehr, wie wir unsere Wirtschaft gestalten – ob wir weiterhin auf fossile Energieträger setzen oder nicht, ob die globalen Transportketten aufrecht erhalten werden oder ob wir lokale Produktion bevorzugen und ob wir dem Profit einiger weniger weiterhin einen höheren Stellenwert einräumen als dem Fortbestehen unserer Lebensgrundlage – oder eben nicht.
Die Absurdität dieser Forderung zeigt sich auch daran, dass sich die Forderung nach der Begrenzung des Bevölkerungswachstums stets an die Länder des globalen Südens, nie an jene des globalen Nordens richtet – obwohl die Bewohner*innen der reicheren Länder doch einen massiv höheren Ressourcenverbrauch haben als jene der ärmeren. Auch die Ecopop-Initiative, über die am 30. November 2014 abgestimmt wurde, reiht sich in dieses Muster ein. Die Initiative forderte neben einer massiven Einschränkung der Zuwanderung in die Schweiz[8] auch, dass der Bund mindestens zehn Prozent der Entwicklungshilfegelder in die «freiwillige Familienplanung» investiert. Im Namen des Umweltschutzes sollen also schwarze Frauen sowie inter, non-binäre und trans Menschen weniger Kinder haben. Überflüssig sind halt immer die anderen - nie die Menschen in nächster Umgebung.
Ökofaschistische Anschläge
Die Menschenfeindlichkeit des Ökofaschismus bleibt nicht folgenlos, sondern hat sich in den letzten Jahren wiederholt als tödlich erwiesen. So schrieb der Attentäter, der am 3. August 2019 in einem Walmart-Supermarkt in El Paso 22 Menschen ermordete und 24 weitere verletzte, in seinem Manifest, der US-amerikanische Lifestyle ermögliche „unseren Bürgern zwar eine unglaubliche Lebensqualität“, zerstöre gleichzeitig aber die Umwelt „unseres Landes“. Seine „Begründung“ des Massenmords in Texas: „Der nächste logische Schritt ist, die Zahl der Menschen zu reduzieren, die in Amerika Ressourcen nutzen. Wenn wir nur genug Menschen loswerden, kann unsere Lebensweise nachhaltiger werden.“[9] Auch der Attentäter von Christchurch, der am 15. März 2019 fünfzig Moscheebesucher*innen ermordete, bezeichnete sich in seinem Manifest selbst als «Ökofaschist».[10]
Humans aren’t the Virus - Capitalism is
In einem Punkt haben Ökofaschist*innen Recht: Wenn wir weitermachen wie bisher, dann zerstören wir unsere Lebensgrundlage endgültig. Trotzdem sind die Menschen kein Virus – der Kapitalismus aber schon.
Viel zu lange konnten Konzerne ungehindert giftige Abfälle in Flüsse kippen oder auf Müllhalden lagern. Viel zu lange haben Regierungen die Förderung fossiler Brennstoffe nicht nur toleriert, sondern sogar mit Geldern in Milliardenhöhe gefördert. Viel zu lange wurde blindes Wirtschaftswachstum als oberstes Ziel überhaupt angesehen und die ökologischen Probleme, die das mit sich brachte, ignoriert.
Das alles muss sich ändern. Aber eine Pandemie, die stets unvorstellbares Leid bedeutet, darf nicht mehr als ein Gedankenanstoss sein, unsere Lebensweise neu zu denken. Sie wird die ökologischen Probleme auf der Erde auf keinen Fall lösen. Dies kann nur durch unseren gemeinsamen Kampf für eine bessere, ökologischere Welt geschehen, in der nicht mehr die Profite einiger weniger im Zentrum stehen, sondern die Bedürfnisse der Menschen, der Tiere und der Umwelt.
Venceremos!
Nadia Kuhn, Co-Präsidentin JUSO Kanton Zürich
Weiterführende Informationen über den Ursprung des Ökofaschismus finden sich hier:

[1] https://earthobservatory.nasa.gov/images/146362/airborne-nitrogen-dioxide-plummets-over-china
[2] https://www.nytimes.com/interactive/2020/climate/coronavirus-pollution.html?te=1&nl=climate-fwd%3A&emc=edit_clim_20200318&campaign_id=54&instance_id=16879&segment_id=22357&user_id=1d44490622b3dd2823be282fb0cd0f48&regi_id=9204357720200318
[3] https://www.berneroberlaender.ch/panorama/vermischtes/wegen-coronavirus-klares-wasser-und-delfine-in-venedig/story/20501236
[4] https://www.carbonbrief.org/analysis-coronavirus-has-temporarily-reduced-chinas-co2-emissions-by-a-quarter
[5] https://twitter.com/ThomasSchuIz/status/1239935787619115012
[6] Extinction Rebellion UK sowie diverse andere Sektionen haben sich von der Aussage dieser Sektion distanziert https://metro.co.uk/2020/03/25/extinction-rebellion-posters-says-corona-cure-humans-disease-12457392/
[7] Da Luftverschmutzung den globalen Temperaturanstieg normalerweise ausbremst, kann die reduzierte Produktion paradoxerweise zu einem verstärkten Temperaturanstieg führen. Mehr Informationen: https://e360.yale.edu/features/air-pollutions-upside-a-brake-on-global-warming
[8] Selbst die SVP ergriff die Nein-Parole, weil sie durch die massive Reduktion negative Auswirkungen auf die Wirtschaft befürchtete.
[9] https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/die-allzuvielen
[10] https://www.woz.ch/-9bfd