Grundrechte sind nicht verhandelbar: NEIN zum Sozialhilfegesetz!

17.02.2021 - Nadia Kuhn

Grundrechte sind nicht verhandelbar: NEIN zum Sozialhilfegesetz!

Am 7. März 2021 werden wir über den gesetzlichen Rahmen des Einsatzes von Sozialdetektiv*innen abstimmen. Mit dieser Vorlage wird eine Sonderpolizei geschaffen, deren einzige Aufgabe es ist, Sozialhilfebezüger*innen zu überwachen und zu drangsalieren.

Anfang 2021 trat die niederländische Regierung zurück, weil die Behörden fälschlicherweise 20'000 Eltern schon aufgrund kleinster Formfehler bei den Anträgen beschuldigten, Sozialstaatsbetrüger*innen zu sein. Aufgrund der hohen Bussen gerieten diverse Eltern mit geringem Einkommen deswegen in Existenznöte.
Der Fall in den Niederlande mag extrem sein, aber das selbe Klima des Misstrauens gegenüber Bezüger*innen von sozialstaatlichen Leistungen herrscht auch in der Schweiz. Exemplarisch dafür steht die ganze Diskussion um den Einsatz von Sozialdetektiven, über deren gesetzliche Grundlage im Kanton Zürich wir am 7. März 2021 abstimmen werden.
Gerade aus linker Sicht gibt es diverse Gründe, den Einsatz von Sozialdetektiv*innen grundsätzlich abzulehnen. Er gefährdet verfassungsmässige Grundrechte wie die Rechtsgleichheit und den Schutz der Privatsphäre, schafft eine Parallelpolizei und schikaniert Armutsbetroffene.

Verletzung von Grund- und Menschenrechten

Wenn wir über Sozialdetektive sprechen, ist es meiner Meinung nach gut, zuerst einmal einen Schritt zurückzumachen. Der Bezug von Sozialhilfe ist kein Privileg, sondern ein Recht, dass jeder und jedem zusteht. In den letzten Jahren hat sich aber ein Klima des Misstrauens und der Ausgrenzung etabliert, indem alle Armutsbetroffene unter Generalverdacht gestellt wurden.
Wenn Sozialdetektiv*innen eingesetzt werden, dann beobachten, filmen und fotografieren sie die armutsbetroffene Person in ihren privaten Räumen, ohne dass diese das weiss. Das ist ein äusserst schwerer Eingriff in die Privatsphäre und in die Würde einer Person – so schwer, dass solche Massnahmen von der Polizei bei diversen anderen, vergleichbaren Delikten wie etwa Steuerhinterziehung nicht eingesetzt werden dürfen. Es verstösst gegen die Rechtsgleichheit und ist moralisch stossend, wenn Armutsbetroffene vom Staat derart härter angegangen werden als die Privilegierten unserer Gesellschaft.

Verletzung der Gewaltentrennung

Die Vorlage löst auch kein existierendes, noch ungelöstes Problem. Der Missbrauch von Sozialhilfe ist bereits eine Straftat, und wie jede Straftat kann auch vermuteter Sozialhilfemissbrauch bei Polizei und Staatsanwaltschaft angezeigt werden, die sich dann um die Untersuchung kümmern. Stattdessen aber wurde mit den sogenannten Sozialdetektiven eine Sonderpolizei nur für ein bestimmtes Vergehen geschaffen. Und mehr noch: Diese privaten Ermittler brauchen keine Ausbildung. Es gibt auch keine Qualitätskontrolle oder Qualitätsvorschriften. Sie üben hoheitliche Aufgaben aus, ohne wie andere staatliche Organe einer demokratischen Kontrolle zu unterliegen.

Mit dem Einsatz von Sozialdetektiven wird das rechtsstaatliche Gewaltmonopol des Staates durchbrochen. Eigentlich dürfen Ermittlungen gemäss der staatlichen Kompetenzordnung nur von der Polizei durchgeführt werden. Jeder andere Straftatbestand, von Steuerhinterziehung über Drogenhandel bis hin zu Gewaltkriminalität, wird von der Polizei verfolgt – es wäre absurd, für jedes einzelne Delikt eine eigene Strafverfolgungsbehörde zu schaffen. Genau das wird aber mit den Sozialdetektiv*innen gemacht.

Winterthur als positives Beispiel

Dass es auch anders geht, zeigt die Stadt Winterthur. Winterthur hat sich bewusst dazu entschieden, die Anzahl an Fällen, die Sozialarbeiter*innen betreuen, zu senken. Das führt dazu, dass die Menschen besser betreut werden können, und deshalb auch weniger lang auf Sozialhilfe angewiesen sind. Durch die intensivere Betreuung im direkten Kontakt fallen Ungereimtheiten schneller auf. Wird nach der regelmässigen Prüfung von Fällen ein unrechtmässiger Bezug von Sozialhilfeleistungen festgestellt, werden die Betroffenen damit konfrontiert und müssen den Betrag zurückerstatten. Bei einem vorsätzlichen Verhalten wird Strafanzeige eingereicht und damit die Polizei involviert. So kann Sozialhilfemissbrauch bekämpft werden, ohne Grundrechte zu gefährden.
Aktuell dominiert in der Schweiz eine Grundhaltung gegenüber Armutsbetroffenen, die von tiefem Misstrauen geprägt ist. In unserer neoliberalen Gesellschaft gilt immer noch die Vorstellung, dass Armut und Arbeitslosigkeit ein persönliches Versagen darstellen würde – statt dass die strukturellen Ursachen in den Blick genommen werden. Ich aber will einen Sozialstaat, der die Menschen befreit und nicht drangsaliert – der die Armut und nicht die Armen bekämpft. Und ich bin überzeugt, dass wir dieses Ziel nur erreichen können, wenn wir gemeinsam hinstehen und klar aufzeigen, dass Grundrechte ohne Einschränkung gelten – und zwar gerade für die Ärmsten in unserer Gesellschaft.

Aus all diesen Gründen ist es zentral, dass wir am 7. März ein NEIN in die Urne einlegen!

Geschrieben von Nadia Kuhn, Co-Präsidentin JUSO Kanton Zürich