Ganz ungewohnt fühlte es sich an, als die Resultate dann veröffentlicht wurden. Die Energiestrategie 2050 angenommen, im Kanton Zürich sowohl die Privatisierung zweier Spitäler wie auch nur noch eine Fremdsprache in der Sekundarstufe verhindert. Gewonnen. Wir hatten jede einzelne Vorlage gewonnen. Euphorie darüber, die Bürgerlichen in einer ihrer Kernforderungen besiegt und dem Privatisierungsneurotiker Thomas Heiniger ein Schnippchen geschlagen zu haben, machte sich breit.
Bei näherer Betrachtung der Ergebnisse verging einem das Jubeln jedoch schnell wieder. Hatten 53,5% der Zürcher Bevölkerung gegen die Privatisierung des Kantonspital Winterthurs gestimmt, so sprachen sich nur noch 51,2% gegen dasselbe Anliegen aus, sobald es um die Integrierte Psychiatrie ging. Rund 8900 Menschen entschieden sich also plötzlich, eine Vorlage, die sie zuerst abgelehnt hatten, anzunehmen. Woher kommt diese Diskrepanz? Der neoliberalen Ideologie, wonach jede Privatisierung automatisch für „Effizienz“ und „Kostensenkungen“ sorgt, lässt sich in diesem Fall nur schwer die Schuld zuschieben.
Das Ergebnis zeigt, wie gross die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Krankheiten auch heute immer noch ist. Für viele Menschen ist es unvorstellbar, dass sie selbst einmal an Depressionen, Angstzuständen oder – Göttin bewahre! – einer Psychose erkranken können. Sowas passiert doch nur den Anderen, den Irren. Ein Psychiatrieaufenthalt wegen einer Essstörung wird komplett anders bewertet als ein Krankenhausaufenthalt aufgrund von Krebs, denn Krebs ist ja nicht selbstverschuldet, oder? Psychische Krankheiten werden gleichzeitig bagatellisiert und dämonisiert – bagatellisiert dadurch, das etwa Essstörungen häufig als «Modekrankheiten» angesehen werden oder Menschen mit Depressionen geraten wird, doch einfach «mehr zu lächeln», dämonisiert durch die oftmals völlig verzehrte Darstellung von dem schizophrenen Serienmörder in Spielfilmen. Viele Betroffene haben Mühe bei der Arbeits- und Wohnungssuche, kämpfen mit Ausgrenzung und Mobbing. Studien haben sogar gezeigt, dass psychisch kranke Menschen wesentlich öfters Opfer von Gewaltverbrechen werden als psychisch Gesunde. In einer Gesellschaft, die ständige Leistung fordert, ist kein Platz für Schwäche. Das Korsett der Norm, das uns allen übergestülpt wird, wird täglich enger, und wer nicht hineinpasst, fällt. Diese abwehrende Haltung zeigte sich auch ganz konkret an der Kampagne, die sowohl Befürworter*innen wie auch Gegner*innen der Vorlage führten: Stets wurde von Spitälern gesprochen, als könne die blosse Erwähnung des Wortes Psychiatrie potentielle Wähler*innen abschrecken.
Rund ein Drittel aller Menschen leiden einmal in ihrem Leben an einer psychischen Erkrankung, und trotzdem wird aus Scham immer noch nur hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen. Stigmatisierung verhindert, dass Menschen sich die Hilfe holen, die sie so dringend brauchen. Brechen wir also mit den Vorurteilen und der Ausgrenzung, denn psychische Krankheiten sind in erster Linie vor allem eines – normal.
Falls du oder jemand aus deinem engeren Umfeld mit psychischen Problemen zu kämpfen hat, zögere nicht, professionelle Hilfe zu suchen. In Notsituationen kannst du jederzeit der dargebotenen Hand unter der Nummer 043anrufen – anonym und kostenlos.
26.05.2017