Der Kassierer in der Migros, die Versicherungsangestellte, der Lehrer, die selbstständige Grafikerin – sie alle arbeiten, um am Ende des Monats ihren Lohn zu bekommen. Es gibt aber einige wenige Menschen, die nicht selbst für ihr Einkommen arbeiten, sondern ihr Geld für sich «arbeiten» lassen, indem sie zum Beispiel Zinsen und Dividenden erhalten. Der Witz dabei: Diese sogenannten Kapitaleinkommen werden im Moment viel tiefer besteuert als normaler Lohn. Während ein Grossaktionär nur 60% seines Einkommens versteuern muss, ist es bei der Gipserin der volle Lohn.
Das ist doppelt ungerecht: Wer Geld fürs Reichsein erhält, soll darauf auch anständig Steuern bezahlen – durchaus auch mehr, als jemand, der für das gleiche Geld arbeiten muss. Wer jeden Tag für einen mageren Lohn arbeiten muss, sollte hingegen entlastet werden. Dazu kommt Folgendes: Die Dividenden, die Grossaktionär*innen erhalten, fallen nicht vom Himmel. Sie können nur ausbezahlt werden, weil jemand dieses Geld vorher erarbeitet hat. Nehmen wir als Beispiel die EMS-Chemie, die von Magdalena Martullo-Blocher geleitet wird. Sie und ihre beiden Schwestern erhielten 2018 insgesamt 220 Millionen Franken Dividenden. Geld, das zuvor von den rund 3000 Mitarbeiter*innen der EMS-Chemie erarbeitet wurde, die vergleichsweise leer ausgehen.
Kapitaleinkommen stärker besteuern
Um diese Ungerechtigkeit zu beenden, hat die JUSO Schweiz im April 2019 die 99%-Initiative eingereicht. Diese verlangt, dass Kapitaleinkommen 1.5 Mal stärker besteuert werden als normale Löhne. Vorgesehen ist ein grosszügiger Freibetrag, so dass nur das reichste Prozent — und nicht Kleinsparer*innen — betroffen sind.
Mit den Mehreinnahmen könnten tiefe
und mittlere Einkommen steuerlich entlastet oder die soziale Wohlfahrt gestärkt werden. Ein Blick auf die Statistiken verdeutlicht die Dringlichkeit der Initiative. Im Jahr 2017 hat das Vermögen der 300 reichsten Menschen in der Schweiz um 60 Milliarden Franken zugenommen. Zusätzlich droht der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen zu explodieren: Kantone wollen sich mit immer tieferen Steuersätzen unterbieten, um für Unternehmen attraktiv zu bleiben. Das zeigt sich etwa im Kanton Luzern. Statt von steuerlichen Mehreinnahmen zu profitieren, ist der Kanton praktisch pleite und musste für Schüler*innen sogar Zwangsferien anordnen, um Kosten zu sparen. Während Konzerne die Kantone gegeneinander ausspielen und mit Abwanderungen drohen, leidet die Bevölkerung extrem unter diesen Umständen. Steuersenkungen führen dazu, dass in der Staatskasse weniger Geld vorhanden ist. Dies wiederum führt zu Leistungsabbau in Schulen, Spitälern, in Altersheimen, bei der Spitex, bei Kinderkrippen...
Unglaubliche Vermögenskonzentration
Auch im internationalen Kontext darf nicht vernachlässigt werden, dass Steuersenkungen an einem Ort dazu führen, dass Geld an einem anderen Ort fehlt. In anderen Worten: Wenn die Schweiz Steuern für Unternehmen senkt, um ihre Standortattraktivität zu erhöhen, dann sorgt sie beispielsweise dafür, dass Geld aus dem globalen Süden zu uns fliesst. Eigentlich eine ziemlich perverse Strategie, um sich selbst zu bereichern, nicht wahr? Oxfam-Studien belegen diese Aussage. Multinationale Unternehmen bereichern sich auf Kosten des Allgemeinwohls, indem sie Staaten in einen ruinösen Wettlauf um Niedrigsteuersätze treiben. Laut der Hilfsorganisation besitzen acht Männer mehr Geld als die halbe Menschheit. Man stelle sich dies in Zahlen vor. Acht Menschen besitzen 426 Milliarden Dollar. Gleichzeitig leiden Menschen weltweit unter Hungersnöten oder leben auf der Strasse. In der Schweiz wird uns gesagt, man habe zu wenig Geld für anständige Renten und müsse bei der AHV oder bei Ergänzungsleistungen sparen.
Laut der Bundesverfassung misst sich die Stärke des Volkes am Wohl der Schwachen. Doch wenn Menschen am Ende des Monats kein Geld mehr haben, um ihre Krankenkassenprämien oder die Kinderbetreuung zu bezahlen, dann läuft etwas falsch in der reichen Schweiz. Darum braucht es die Initiative der JUSO Schweiz. Genauso wie strengere Massnahmen gegen Steuerhinterziehung und eine Entlastung unterer und mittlerer Einkommen. Nur mit einem Linksrutsch an den kommenden National- und Ständeratswahlen können wir dafür sorgen, dass Menschen am Ende des Monats wieder mehr Geld im Portemonnaie haben.