Rise Up For Change: Bundesplatz besetzt!

15.10.2020

Erlebnisbericht und Olivia Geisser und Olga Stamm

Es ist Montag, der 21. September. Um 4.00 Uhr morgens kommt Leben in das verschlafene Bern. Von verschiedenen Punkten aus strömen Aktivist*innen auf den Bundesplatz und errichten ihre Blockaden. Schnell stehen die Tripods und die mit Beton gefüllten Fässer. Menschen liegen hoch oben in Hängematten, ketten sich an Velos und Fässer oder verhaken sich zu Menschenketten. So wird klar, wir sind gekommen, um zu bleiben. Doch was hat diese Menschen dazu bewegt, das Rise Up for Change zu starten?

Zum ersten Mal haben sich die verschiedenen Klimabewegungen Extinction Rebellion, Collective Climate Justice, Collectif Breakfree, Greenpeace und der Klimastreik für ein gemeinsames Projekt zusammengeschlossen. Die ersten organisatorischen Calls fanden Mitte Mai statt, die Zeit war also knapp und es gab viel zu tun. Es wurden verschiedene Arbeitsgruppen gegründet, in denen wir uns Gedanken machten zu Infrastruktur und Programm des Camps, zur Mobilisierung, zur Kommunikationsstrategie und zu unseren Forderungen. Die Klimakrise ist umfassend. Ein Lösungsansatz muss deshalb alle Lebensbereiche miteinbeziehen. Konkret richten sich unsere Forderungen an die Bereiche Landwirtschaft, Finanzen, Infrastruktur und Energie, Demokratie und Klimagerechtigkeit.

Bisher wurde von unseren Parlamentarier*innen nicht angemessen auf die Klimakrise reagiert. Gemeinsam wollten wir deshalb durch zivilen Ungehorsam Druck auf die Politik und den Finanzplatz ausüben und uns für sofortige Klimagerechtigkeit stark machen. Dies taten wir, indem wir uns während der Herbstsession vor ihrer Nase auf dem symbolträchtigen Bundesplatz niederliessen und verkündeten, dass wir eine Woche bleiben würden. Ziviler Ungehorsam bedeutet, dass Mensch durch bewusstes Verstossen gegen ein Gesetz ein wahrgenommenes Unrecht beseitigen möchte. Politikwissenschaftler*innen sind sich einig, dass ziviler Ungehorsam Teil einer gut funktionierenden Demokratie sein sollte und ein legitimes Mittel zur politischen Partizipation ist.

Für die meisten der beteiligten Organisationen ist ziviler Ungehorsam schon ein gängiges Mittel, um Aktivismus zu betreiben. Der Klimastreik rief jedoch das erste Mal als ganze Bewegung zu zivilem Ungehorsam auf. Denn immer mehr Aktivist*innen sind davon überzeugt, dass der Klimawandel im jetzigen System nicht lösbar ist. Einen Systemwandel werden wir jedoch nicht mit Demonstrationen und Streiks erreichen, weshalb wir uns nun durch friedlichen, massenhaften zivilen Ungehorsam gegen dieses System richten.

Trotz der möglichst grossen Geheimhaltung unseres Zielortes waren wir uns bis zum Schluss unsicher, inwiefern die Stadt Bern über unsere Pläne Bescheid wusste und wann die Polizei eingreifen würde. Zu unserer Überraschung gelangten wir ohne Probleme auf den Bundesplatz und konnten ungestört unser Camp errichten. Während den zwei Tagen, in denen wir den Platz besetzten, wurden Plenen abgehalten, kreative als auch informative Workshops und Talks durchgeführt, Konzerte gespielt, Parolen geschrien, Lieder gesungen und viel diskutiert. Die Atmosphäre war während der ganzen Zeit friedlich und ausgelassen. Ein wichtiger Teil waren die Deli-Plenen und die transparente Kommunikation, mit welcher wir versuchten, eine basisdemokratisch Entscheidungsfindung zu erreichen. Eine dieser Entscheidungen war, wie wir auf die Forderungen und Ultimaten der Stadt reagieren sollten. Unter anderem wurde uns ein Umzug auf den Waisenhausplatz angeboten. Diesen lehnten wir aber ab und gingen auch sonst nur wenige Kompromisse ein. Wir entschieden uns die Ultimaten nicht einzuhalten, denn wir waren uns einig: Wir waren gekommen, um zu bleiben. Und zum Sinn von zivilem Ungehorsam gehört es, sich durch die Polizei nicht einschüchtern zu lassen. Uns allen waren die möglichen Konsequenzen unseres Handelns bewusst und wir waren auch bereit sie zu tragen. Einen Kompromiss, den wir aber eingingen, war, dass wir am Dienstagmorgen Platz machten für den wöchentlichen Markt, um lokale und regionale Unternehmen zu unterstützen. Eine Schwierigkeit lag darin, dass wir einen grossen Teil unserer Infrastruktur abbauen mussten, um Platz für die Marktstände zu schaffen. Zudem waren nicht alle Verkäufer*innen begeistert, da sie an diesem Tag weniger verdienten als sonst. Darauf gingen wir jedoch ein und werden sie für ihre Verluste entschädigen. Dies tat der guten Stimmung im Camp jedoch keinen Abbruch.

Am Dienstagnachmittag fand parallel die Stop Isolation Demo von abgewiesenen Asylsuchenden statt. Schon im Vorhinein hatten wir mit ihnen abgemacht, dass sie zu uns auf den Bundesplatz kommen würden. Jedoch wurden sie bei diesem Versuch von der Polizei mit Wasserwerfern und Gummischrot aufgehalten. Wir waren sehr empört darüber, dass die Polizei so brutal vorging, während sie uns gewähren liessen. In einem emotionalen Deli-Plenum besprachen wir, was unser Vorgehen in dieser Situation sein sollte. Ein paar Dutzend Aktivist*innen machten sich auf den Weg, um den Demonstrierenden zu helfen, auf den Bundesplatz zu gelangen. Das Unternehmen war erfolgreich. Der Moment, als es die Demonstration auf den Bundesplatz schaffte, war für uns alle überwältigend. Am Dienstagabend waren wir demzufolge sehr viele Menschen auf dem Platz und die Stimmung war ausgelassen. Viele schienen vergessen zu haben, dass wir jederzeit durch die Polizei geräumt werden konnten. Nach einem spontanen Aktionstraining und wiederholtem Erinnern an die bevorstehende Räumung und während des einsetzenden Regens wurden die Blockaden nach und nach wiederaufgebaut. Um ca. 1.00 Uhr nachts kam es dann zur Räumung durch die Polizei. Sie gab uns nochmals die Möglichkeit, den Platz freiwillig zu verlassen mit der einzigen Konsequenz einer Wegweisung von 48 Stunden. Einige gingen dem Angebot nach, die meisten machten sich durch Sitzblockaden und Anketten auf die gewaltsame Räumung durch die Polizei gefasst. Die letzten Aktivist*innen wurden um 8.00 Uhr am Mittwochmorgen durch sie geräumt. Von Seiten der Aktivist*innen kamen zu keiner Zeit Zeichen der Gewaltbereitschaft auf.

Die Reaktionen der Parlamentarier*innen während dieser zwei Tage fielen sehr unterschiedlich aus. Einige begaben sich in unser Camp und gingen mit uns konstruktive Diskussionen ein. Wie zu erwarten waren die Reaktionen von rechter Seite negativ bis beleidigend und es kam auch zu Konflikten. Die Medienpräsenz war gross. Allerdings wurde von ihnen kaum auf unsere Forderungen eingegangen und die Hauptdiskussion verschob sich stattdessen auf die Bleibeberechtigung unseres Camps.

Die Aktionstage waren für uns insofern ein Erfolg, als dass wir unsere Blockade erfolgreich aufbauen konnten und zwei ereignisreiche Tage lang den Bundesplatz besetzen konnten. Ernüchternd war jedoch, dass unseren Forderungen kaum Beachtung geschenkt wurde. Das Rise up fοr Change war erst der Anfang einer Eskalationsspirale. Die breite Vernetzung, die durch dieses Projekt zu Stande gekommen ist, wird uns bei weiteren Aktionen bestimmt behilflich sein und war ein wichtiger Schritt für die Schweizer Klimabewegung insgesamt.