Solidarität als Auftrag

03.02.2015

In diesem Augenblick sind auf der Welt 45 Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten von ihnen lassen ihr Hab und Gut, ihre Freunde und nicht selten auch ihre Familie in ihrer Heimat zurück. Das alles im Wissen, dass sie ihre liebsten Menschen wahrscheinlich nie mehr wiedersehen werden. Niemand macht die Entscheidung zur Flucht leichtfertig. Niemand will flüchten. Niemand will freiwillig in ein Land gehen, in dem man niemanden kennt und in dem man die Landessprache nicht versteht. Nur Menschen in einer äussersten Notsituation sind zu solchen drastischen Massnahmen bereit.
Doch was das ganze noch viel trauriger macht, ist, dass es purer Zufall ist wo ein Mensch geboren wird. Dem Schatten, der dieser Zufall wirft, können viele Menschen ihr ganzes Leben lang nicht entrinnen. Sie leiden darunter und werden durch den selben Zufall in eben diese Notsituation gebracht, der sie zur Flucht zwingt.
Genau umgekehrt ist es als BürgerIn dieses Landes. Das Fehlen von Essen und Trinkwasser ist uns als Schweizerinnen und Schweizer so fern wie sonst fast nirgendwo auf der Welt. Nur durch den selben Zufall, der die einen Menschen ins Verderben gestossen hat, könne wir uns sicher sein, dass wir von allem im Überfluss haben.
Doch zwei Tatsachen machen diese absurde Situation noch schlimmer. Die erste ist, dass unser Reichtum durch ein System erzeugt wird, dass sich - und damit uns - auf Kosten armer Menschen und Länder bereichert. Als zweite Tatsache ist festzuhalten, dass wir immer mehr in eine Denkweise verfallen, in der wir jene Menschen, die so grosses Leid auf sich genommen haben, indem sie sich auf die lange Reise zu uns aufgemacht haben, die hilflos und ohne Mittel zu uns kommen, nicht mit Respekt und Hilfsbereitschaft begegnen, sondern sie in gefängnisähnlichen Unterkünften zusammenpferchen und ihnen zum Teil noch Ausgangssperren aufbrummen. Wir lassen sie in den ersten drei Monaten ihres Asylgesuches nicht arbeiten, stempeln sie aber gleichzeitig als faul und arbeitsscheu ab.
Ich habe das Schweizer-Sein immer auch als Auftrag verstanden. Es ist der Zufall der uns in dieses reiche Land verschlagen hat. Wer diesen Fakt akzeptiert hat, der wird aufhören Menschen nur durch ein Stück Papier, sprich den Pass, zu beurteilen. Ein reiches Land hat auch die Aufgabe ärmeren Leuten zu helfen, nicht nur armen SchweizerInnen, denn diese gibt es auch, sondern auch Menschen, die von einem Krisengebiet am anderen Ende der Welt kommen.
In der Vergangenheit war das klar, die Schweiz stand für internationale Solidarität und Hilfsbereitschaft, man denke nur an das rote Kreuz. Doch für was steht heute die Schweiz? Wir haben immer radikalere und asozialere Abstimmungen, sogar solche, die die europäische Menschenrechtskonvention verletzen.
Ich wünsche mir eine Schweiz, die wieder zu ihren Wurzeln der Solidarität zurückkehrt und die Hoffnung nach Hilfe und einem besseren Leben, die Leute haben, die hierhin flüchten auch befriedigen kann. Ich setzen mich ein gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und gegen die Beurteilung eines Menschen aufgrund eines Stück Papiers. Ich kämpfe gegen ein Wirtschaftssystem, das in seinem Profitwahn jegliche moralischen Aspekte ausser Acht lässt und gegen Parteien und Gruppierungen, die die Menschenrechte mit Füssen treten.