Wer entscheidet in der Krise?

09.04.2020

Der Ausbruch des Coronavirus hat die Schweiz fest im Griff. Noch nie wurden in diesem Land so viele wichtige und weitreichende politische Entscheidungen in so kurzer Zeit gefasst. Wer dabei irrelevant war: die Parlamente! Auf allen Ebenen haben sich Parlamente selbständig in den Urlaub begeben oder deren Sitzungen wurden von den Exekutiven abgesagt. Dabei wäre ist genau jetzt die Zeit, in welcher Arbeit von unseren gewählten Volksvertreter*innen am wichtigsten ist. Wir fordern daher sofort eine Wiederaufnahme der Parlamentssitzungen – mit weitreichenden Kompetenzen als nur dem Abnicken von Exekutivbeschlüssen.
Unsere Demokratie ist auf drei Pfeilern aufgebaut: Aus der Justiz, der Exekutive und der Legislative. Jedem dieser drei Pfeiler fallen unterschiedliche Rollen zu. Der Legislative – und somit den gewählten Parlamentarer*innen – kommt die Rolle der Volksvertreter*innen zu. Sie sollten die Anliegen der Bevölkerung aufnehmen und in den parlamentarischen Prozess bringen können. Täglich hören wir von Menschen, welche sich an Parlamentarier*innen wenden mit ihren Sorgen und Ängsten – Bauarbeiter*innen welche um ihre Gesundheit Angst haben, weil die Sicherheitsmassnahmen nicht eingehalten werden, Pflegefachpersonen die sich Sorgen, da ihre Arbeitsrechte gestrichen wurden und Eltern, welche nicht wissen wie sie Home-Office und Home-Schooling unter einen Hut bringen sollen.
Der Bundesrat jedoch, der vom Parlament und nicht vom Volk gewählt ist, kann diese Verfügbarkeit nicht gewährleisten. Zusätzlich kommt ihm in der Krise die ganze Macht zu. Dies ist anfangs zwar gewissermassen sinnvoll, da die föderalistischen Strukturen und Parlamentsdiskussionen bekannt dafür sind, meist nicht besonders schnell und effizient zu sein. Weiter setzen viele kantonale und kommunale Exekutiven auch nur um, was der Bundesrat beschlossen hat. Je länger die Krise andauert, desto wichtiger ist jedoch, dass Anliegen der Bevölkerung durch die Parlamentarier*innen in den politischen Prozess eingebracht werden können.
Doch genau diese Anliegen, können momentan nicht von den gewählten Volksvertreter*innen eingebracht werden, da die Parlamente nicht tagen. Ein Ausdruck dieser Hilflosigkeit sind die grosse Anzahl an Petitionen, welche momentan im Umlauf sind – Hilfe für die Geflüchteten in Griechenland, Schliessung der Baustellen oder Unterstützung für unsere Pfleger*innen. Diese wichtigen Anliegen gehören sofort von den Parlamenten nachgebessert!
Unklar sind in dieser Krise auch die Kompetenzen der Exekutiven. So verkündete die Zürcher Gesundheitsdirektion mitte März, dem Zürcher Kantonsrat die Bewilligung für die geplante Sitzung zu entziehen. Unabhängig davon, ob die Massnahme an sich sinnvoll war, oder nicht, ist ein solches Verbot im Sinne der Gewaltenteilung unserer Demokratie äusserst fragwürdig.
Natürlich ist es in Zeiten des Social Distancing wenig sinnvoll und potentiell gefährlicj, wenn 200 Menschen auf engem Raum eine Sitzung abhalten. Doch muss deswegen der gesamten Parlamentsbetrieb eingestellt werden? Ein Parlament ist nicht einfache eine normale Versammlung, auch wenn es uns manchmal wie ein Kasperlitheater vorkommen mag. Das Parlament – die Legislative – ist ein fester Bestandteil einer Demokratie und seine Funktionalität ist wichtig für die Gewaltenteilung. Denn neben dem Verabschieden und Beraten von Gesetzen, Krediten, etc. nimmt das Parlament auch eine Aufsichtsfunktion wahr - unter anderem über die Tätigkeiten der Exekutive.
Das Aussetzen der Parlamentssitzungen ist auch ein Zeichen dafür, dass deren Modernisierung gehörig verschlafen bzw. ignoriert wurde. In diversen Bereichen der Gesellschaft konnten kreative Lösungen zur Aufrechterhaltung wichtiger Aufgaben gefunden werden. Es wäre also zu erwarten, dass auch das Parlament Wege findet, um in Zeiten wie diesen zu einer funktionierenden Demokratie beizutragen, seine Aufsicht auszuüben und Beschlüsse zu fassen. Vertretungsregelungen, digitale Lösungen - an den Ideen und Möglichkeiten mangelt es nicht, sondern am Willen diese umzusetzen. Vielleicht ist dies ja etwas, was aus dieser lähmenden Situation der Krise mitgenommen wird.
Für uns ist klar: Der partielle Lockdown entschuldigt kein Aussetzen der Demokratie. Die Parlamente müssen schleunigst wieder entscheidungsfähig sein und die zuständigen Gremien müssen Lösungen für eine sichere Weiterführung des Parlamentsbetriebs finden. Denn die leidtragenden sind diejenigen, welche keine grosse Wirtschaftslobby hinter sich haben, sondern auf die gründliche Arbeit von Parlamentarier*innen angewiesen sind, damit ihre Anliegen Gehör finden.
Leandra Columberg
Vorstandsmitglied JUSO Kanton Zürich, SP-Kantonsrätin, Studentin Rechtswissenschaft
Luca Dahinden
Co-Präsident JUSO Kanton Zürich, Student Politikwissenschaft