Positionspapier: Religion und Staat

10.03.2018

Religion und Staat im Kanton Zürich

"Religion auf dem Vormarsch"

Im letzten Jahrhundert wurde immer wieder verkündet, dass es zu einer vollständigen Trennung zwischen Kirche und Staat kommen werde (Säkularisierung). Das hat sich gleich doppelt als Mythos erwiesen. Ausserhalb Europas breitet sich vor allem das Christentum intensiv aus, in erster Linie in Lateinamerika (besonders Brasilien), Afrika und in Teilen Asiens. In Europa nehmen zwar die Besucher*innenzahlen von (christlichen) Gottesdiensten ab, das heisst aber nicht, dass der Einfluss von Religion deswegen abgenommen hätte – im Gegenteil. religiöse Institutionen nehmen diese Entwicklung nicht einfach hin, sondern drängen sich aktiv in den öffentlichen Diskurs. deutlich wird das beispielsweise in Polen, wo die katholische Kirche enge Verbindungen zur rechten Regierungspartei PiS hat. Aber auch auf linker Seite prägen insbesondere Teile der Schweizer Landeskirchen die öffentliche Debatte mit – beispielsweise während der Spekulationsstopp-Initiative oder in Asylfragen.

Das ist Anlass genug, sich einmal mehr mit dem Verhältnis von Religion und Staat auseinanderzusetzen. Bevor man sich vertieft der Lage im Kanton Zürich zuwendet, lohnt sich jedoch ein Blick darauf, von wem und wie Religion, insbesondere der Islam, in den letzten Jahren in die öffentliche Diskussion eingebracht wurde.

Instrumentalisierung des Islams

Es vergeht kaum ein Monat, ohne dass konservative und bürgerliche Politiker*innen und Medienschaffende vor der drohenden «Islamisierung» warnen, den «Zerfall unserer christlichen Werte» heraufbeschwören oder die Bedeutung der «christlichen Leitkultur» herausstreichen. Will die SVP eine Abstimmung gewinnen, so bedient sie sich mit Vorliebe des Motives einer verhüllten Muslimin. Der Diskurs ist klar: Das Christentum sei «Teil unserer Kultur», die unter allen Umständen bewahrt werden müsse, während andere Religionen als fremd und bedrohlich dargestellt werden.

Viele der Grundmerkmale unseres Staates wie die Demokratie, der Rechtsstaat und insbesondere die universalen Menschenrechte werden heute oftmals als Errungenschaft des Christentums angesehen. Was dabei nur allzu gerne vergessen wird, ist die Tatsache, dass sowohl die katholische als auch die Teile der protestantischen Kirche die Menschenrechte als «Verirrung des modernen Menschen» bis weit in die fünfziger Jahre hinein entschieden ablehnten. [1]

Genauso halten konservative Kräfte vielen nichtchristlichen Religionen, vornehmlich dem Islam, die Unterdrückung der Frau* ohne Unterlass vor und übersehen dabei nur zu gerne die sexistischen Strukturen im Christentum und in den Kirchen. Auch unter dem gegenwärtigen Papst, der allgemein als Reformer angesehen wird, verwehrt die römisch-katholische Kirche den Frauen* weiterhin die Priesterweihe und stellt sie somit fundamental schlechter als die Männer*. Trotzdem wird dem Katholizismus seine Frauen*feindlichkeit nur selten zum Vorwurf gemacht. Auch in diesem Zusammenhang spielt die im vorhergehenden Abschnitt beschriebene Instrumentalisierung des Islams eine Rolle: Von keiner Katholikin* wird verlangt, sich bezüglich der Frauen*politik Roms zu rechtfertigen, während muslimische Frauen* immer wieder dazu aufgefordert werden, sich von den unterdrückenden Strukturen zu distanzieren.

Doch nicht nur die Diskriminierung von Frauen* durch religiöse Institutionen sowie religiöses Gedankengut ist problematisch, sondern auch die Inakzeptanz der Kirchen gegenüber queeren Menschen. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die Ehe in allen Religionen auschliesslich zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann.

Reaktionär ist auch die Position des Christentums gegenüber Abtreibungen: Diese gelten in der katholischen Kirche als «Sünde». Bis 2016 bestrafte die katholische Kirche abtreibende Frauen mit Exkommunikation. Erst vor zwei Jahren gewährte Papst Franziskus seinen Priestern die Vollmacht, Frauen, welche eine Abtreibung hinter sich haben, zu vergeben.

Die Instrumentalisierung des Islams in politischen Debatten geht jedoch noch weiter, wie am Beispiel Bildung gezeigt werden kann: Immer wieder werden von der SVP Fälle aufgeführt, in denen es zu Konflikten zwischen Schulen und muslimischen Familien kommt. Das ist eine geschickte Verschleierungstaktik: So wird systematisch ausgeblendet, dass Kinder unabhängig vom Glauben ihrer Eltern in schwierigen und/oder belastenden Situationen aufwachsen, die Konflikten im Schulkontext führen können - Krankheit der Eltern, Armut, starre Rollenbilder, häusliche Gewalt etc. Hier sind insbesondere Klassenlehrpersonen oft erste und wichtigste Anlaufstelle – sie unterstützen betroffene Kinder und klären Konflikte mit Familien. Um diese Rolle wahrzunehmen, brauchen sie jedoch genügend Zeit. Gleiches gilt für psychologische Anlaufstellen: Wird tatsächlich jemand gezwungen, in einer religiösen Gemeinschaft zu verbleiben oder ein religiöses Symbol zu tragen, obwohl er oder sie das nicht will, braucht es qualifizierten Anlaufstellen und ein breites Netz an Frauenhäusern – genau hier streichen die Bürgerlichen aber seit Jahren das Geld zusammen.

Für uns als JUSO ist klar: Wir bekämpfen frauen*feindliche Politik aller Art, wir wehren uns gegen den Mythos der „christlicher Leitkultur“ und wir akzeptieren nicht, dass die Rechtskonservativen soziale Konflikte auf den Islam projizieren, um die Auswirkungen ihrer fatalen Abbaupolitk zu verschleiern.

Religion und Staat im Kanton Zürich

Ausgangslage

Laut Bundesverfassung ist das Verhältnis zwischen Kirche und Staat Sache der Kantone – dementsprechend ist die Ausgangslage in verschiedenen Kanton sehr unterschiedlich. Im Kanton Zürich bildet die Gesamtrevision der Kantonsverfassung von 2005 die Grundlage für dieses Verhältnis. Darin werden Kanton und Gemeinden verpflichtet, „günstige Voraussetzungen für den Dialog zwischen Kulturen, Weltanschauungen und Religionen“ zu schaffen. Zudem anerkennt der Kanton Zürich neben den Landeskirchen auch zwei jüdische Gemeinschaften. Im Folgenden werden einzelne Überschneidungsgebiete angeschaut.

Präambel der Kantonsverfassung

Die Präambel der Kantonsverfassung beruft sich auf die „Verantwortung gegenüber der Schöpfung“. Da unter „Schöpfung“ genuin eine von Gott geschaffene Welt verstanden wird, soll der Satz angepasst werden.

Wir fordern:

  • In der Präambel der Kantonsverfassung wird der Teilsatz „Verantwortung gegenüber der Schöpfung“ durch „Verantwortung gegenüber Menschen und Umwelt“ ersetzt.

Christliche Feiertage

Gesetzliche Feiertage richten sich aktuell in vielen Fällen nach dem Christentum – im Kanton Zürich sind das Karfreitag, Ostermontag, Auffahrt, Pfingstmontag, Weihnachten und Stephanstag. Das ist eine einseitige Bevorzugung des Christentums und in einem säkularen Staat nicht haltbar.

Wir fordern:

  • Christliche Feiertage sollen vollständig durch nicht-religiöse Feiertage ersetzt werden, wie zum Beispiel dem 8. März (Frauentag) oder dem Tag der Menschenrechte (10. März).
  • Bis es soweit ist, gewähren Schulen und Arbeitgeber*innen im Sinne einer Gleichbehandlung jedoch Dispensen für nicht-christlich religiöse Feiertage.

Religion und staatliche Aufgaben

Der Neoliberalismus führt(e) zu einem stetigen Abbau des Sozialstaates: Ganz nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“ werden Superreiche und Unternehmen entlastet, während Sozialleistungen immer mehr gekürzt werden. Hier springen religiöse Gemeinschaften ein: Von Pfarrer Siebers Sozialwerken bis zu Arbeitsintegrationsprogrammen der Heilsarmee übernehmen religiöse Gemeinschaften staatliche Aufgaben. Das kann sowohl über offizielle staatliche Leistungsaufträge (z.B. das Betreiben eines Asylheims im Kanton Bern) als auch inoffiziell über ergänzende Angebote (z.B. Suppenküchen) gehen. Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens erfolgt die Finanzierung religiöser Gemeinschaften, ausser den Landeskirchen, oft über (Klein)Spenden und Mitgliederbeiträge von Menschen mit durchschnittlichem Einkommen. Staatliche Abbaupolitik – also tiefere Sozialleistungen und tiefere Steueren – kommen nur wenigen, reichen Menschen zu gute. Es handelt sich also um eine verdeckte Umverteilung von unten nach oben. Zweitens ist bei ergänzenden Angeboten nicht garantiert, dass sie allen offenstehen – man kann eine homophobe Religionsgemeinschaft nicht (wirksam) dazu zwingen, eine lesbische Frau* in ihr Arbeitsintegrationsprogramm aufzunehmen. Drittens gibt es zwar bei staatlichen Leistungsaufträgen ein Missionierungsverbot, dieses lässt sich aber in der Praxis schwer überprüfen.

Wir fordern:

  • Gerechte Steuern: Kapitaleinkommen, hohe Vermögen und hohe Löhne sollen stärker besteuert werden. Mit den Mehreinnahmen wird der Sozialstaat ausgebaut, so dass die Notwendigkeit entfällt, sich für diese Aufgaben an religiöse Gruppen zu wenden.
  • Der Kanton Zürich darf keine staatlichen Leistungsaufträge an religiöse Gemeinschaften übergeben. Es darf bei der entsprechenden Umstellung jedoch nicht zu einem Leistungsabbau kommen.
  • Längerfristig die Abschaffung der Kirchensteuer. Die Kirchensteuer ist in einem säkularen Staat nicht haltbar. Momentan würde eine Abschaffung jedoch die Schwächsten der Gesellschaft treffen, nämlich all jene, die auf die Sozialleistungen angewiesen sind.

Religion und Schule

Bis jetzt wird an Zürcher Volksschulen das obligatorische Fach „Religion und Kultur“ unterrichtet, nach Inkrafttreten des Lehrplan21 wird dies durch „Ethik, Religionen, Gemeinschaft“ ersetzt. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu einem säkularen Staat und wird von fundamentalistischen und bürgerlichen Kreisen entsprechend bekämpft. Diese Angriffe werden wir entschieden abwehren.

Bis jetzt kennen die Volksschulen des Kanton Zürichs grundsätzlich keine Vorschriften zur Bekleidung von Schüler*innen oder zum Tragen von religiösen Symbolen. Diese sind damit grundsätzlich erlaubt. Der Schwimm- und Sportunterricht ist obligatorisch, Schüler*innen dürfen ihren Körper jedoch beispielsweise in Form eines Burkinis bedecken, wenn dies gewünscht wird. Uns als Sozialist*innen und Feminst*innen liegt es fern, Menschen Kleidervorschriften zu machen – das gilt sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum und auch in der Schule. Für einen säkularen Staat ist nicht entscheiden, was die Schüler*innen und Lehrer*innen tragen, sondern dass die Schule religionsneutrale Rahmenbedingungen bietet. Das heisst, an den Wänden hängen keine religiösen Symbole und Lehrpersonen lassen bei der Stoffvermittlung ihre persönlichen religiösen Überzeugungen zwingend aussen vor.

Wir fordern:

  • Religionsfreie Rahmenbedingungen in den Schulen.
  • Dispensen von ganzen Fächern wie Schwimmunterricht oder Biologie aus religiösen Gründen sollen weiterhin nicht möglich sein.
  • Schüler*innen und Lehrer*innen dürfen im Schulkontext religiöse Symbole tragen. Die religiösen Überzeugungen der Lehrpersonen dürfen sich jedoch nicht im Unterricht widerspiegeln.

Anerkennung von religiösen Gemeinschaften

Der Staat kann und soll mit religiösen Gemeinschaften im Austausch stehen – wie er auch mit beispielsweise Sportvereinen, der Pfadi und anderen Institutionen in Kontakt steht. Entscheidend dabei sind zwei Dinge: 1. Der Staat darf keine religiöse Gemeinschaften finanzieren und religiöse Gemeinschaften dürfen keine staatlichen Aufgaben übernehmen (vgl. Kapitel Religion und staatliche Aufgaben). 2. Der Staat muss sich allen religiösen Gemeinschaften gegenüber gleich verhalten. Der aktuelle Zustand, in dem neben der evangelisch-reformierten Landeskirche, der römisch-katholischen Körperschaft und die christkatholische Kirchengemeinde sowie zwei jüdische Gemeinden anerkannt sind, ist deshalb nicht haltbar.


[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/integration/wertedebatte-haben-wir-eine-christliche-leitkultur-1604848.html